Friday, November 4, 2011

Schade, dass die EU-Eliten so unklug sind!

Es ist nicht nur schade, sondern auch ein Armutszeugnis ersten Ranges, dass Spitzen aus Politik, Finanzen, Wirtschaft, etc. einfach nicht wahrhaben wollen, dass ein schwacher Schuldner erst dann wieder seine Schulden bedienen kann, wenn er wieder stark ist.

Erste Frage: um welchen Schuldner geht es denn eigentlich? Den griechischen Staat? Ja und nein. Und zweitens: um welche Schulden geht es denn hier?

Es kann nur um die cross-border Schulden gehen, d. h. jene Verbindlichkeiten, die Kreditnehmer innerhalb der Grenzen bzw. Jurisdiktion Griechenlands gegenüber Kreditgebern außerhalb dieser Grenzen haben. Würde niemand innerhalb Griechenlands Grenzen jemandem außerhalb seiner Grenzen etwas schulden (d. h. wären alle Staatsschulden bei griechischen Investoren), dann gäbe es zwischen Paris-Brüssel-Berlin mit Sicherheit kaum Aufregung.

Es geht also um die Auslandsschulden. Auslandsschulden von wem? Um die Auslandsschulden aller Kreditnehmer, die sich innerhalb Griechenlands Grenzen befinden. Auslandsschulden sind nichts Anderes als Spareinlagen anderer Länder, die an Kreditnehmer innerhalb Griechenlands Grenzen transferiert/verliehen wurden. Mitte 2011 schuldeten Kreditnehmer innerhalb Griechenlands Grenzen 399 Mrd. EUR Kreditgebern außerhalb seiner Grenzen. Das waren Griechenlands gesamte Auslandsschulden, die jetzt im Feuer sind (Quelle: Bank of Greece). Würde Griechenland in die Ägäis stürzen, dann wären diese Spareinlagen anderer Länder weg.

Der griechische Staat ist nur einer dieser Kreditnehmer innerhalb Griechenlands Grenzen, die Kreditgebern im Ausland Geld schulden und der Staat ist nicht einmal der größte unter ihnen. Von den 399 Mrd. EUR Auslandsschulden Mitte 2011 waren 174 Mrd. EUR beim Staat (44%). Der größere Anteil der Auslandsschulden Griechenlands war bei Banken und Sonstigen.

Hoch interessant ist, dass seit Ende 2009 (also noch bevor die ersten sogenannten „Hilfskredite“ nach Griechenland flossen) die Auslandsschulden des griechischen Staates als Kreditnehmer und auch von ganz Griechenland gesunken sind (!). Normalerweise steigt der Schuldenstand, wenn man neue Kredite aufnimmt.

Von Ende 2009 bis Mitte 2011 sind die Auslandsschulden des Staates von 225 Mrd. EUR auf 174 Mrd. EUR gesunken und die Auslandsschulden insgesamt von 413 Mrd. EUR auf 399 Mrd. EUR. Laut Adam Riese würde das bedeuten, dass jeder Eurocent an neuen Krediten aus dem Ausland dazu verwendet wurde, fällig werdende Kredite aus dem Ausland zu tilgen (und noch 14 Mrd. EUR Inlandsvermögen dazu!). Dazu wurden bisher noch nirgendwo Erklärungen abgegeben.

Ein weiterer ganz wesentlicher Punkt ist: man könnte dem griechischen Staat alle seine Schulden erlassen und trotzdem würden Kreditnehmer innerhalb der Grenzen Griechenlands Kreditgebern außerhalb seiner Grenzen immer noch 225 Mrd. EUR schulden.

Wenn man also erkennt, dass es nicht nur um den griechischen Staat als Kreditnehmer von Auslandsschulden, sondern um alle griechischen Kreditnehmer von Auslandsschulden und um alle diese Auslandsschulden geht, dann muss man sich fragen, wie denn diese Schulden entstanden sind. Die Antwort ist einfach: von 2001-10 waren die Auslandsschulden um 283 Mrd. EUR gestiegen; davon betrafen 199 Mrd. EUR das Leistungsbilanzdefizit.

Vor Einführung des Euro waren Handels- und Leistungsbilanzen ganz wesentliche Steuerungsinstrumente für Volkswirtschaften. Mit dem Euro und mit dem sogenannten Binnenmarkt hat man offensichtlich gemeint, dass Handels- und Leistungsbilanzen keine große Rolle mehr spielen.

Vor allem Leistungsbilanzen (seien es regionale oder staatliche) spielen die gleiche Rolle wie vor der Währungsunion, weil Leistungsbilanzen und Transferzahlungen kommunizierende Gefäße sind: mit einem Leistungsbilanzüberschuss muss man Transfers zahlen; mit einem Defizit braucht man Transfers. Diese Erkenntnis hätte man vor allem von Deutschland erwarten dürfen, weil sich genau dieses Szenario seit über 20 Jahren zwischen dem Westen und den neuen Bundesländern abspielt.

Nun zurück zur Eingangsfrage: wie wird ein Kreditnehmer (in unserem Fall nicht nur der griechische Staat, sondern – und vor allem – die griechische Volkswirtschaft), wie wird dieser Kreditnehmer wieder stark?

Wenn man der bisherigen Logik folgt, dann gibt es darauf nur eine Antwort: indem man den Bedarf an Transferzahlungen aus dem Ausland (seien es Kredite oder Geschenke) so stark wir möglich reduziert und die verbleibende Lücke größtenteils mit Eigenkapital (Auslandsinvestitionen) und nicht mit Fremdkapital (Auslandsschulden) finanziert.

Griechenland kann kurzfristig diese Lücke nur mit dem Zurückfahren seiner Importe reduzieren. Selbst wenn Exporte 2-stellig wachsen und selbst wenn der Fremdenverkehr weiterhin solide wächst, wird es viele Jahre dauern, bis diese Einnahmen die Lücke stark reduzieren können. Importe hingegen kann man rasch reduzieren; man müsste nur Steuern auf Importe einheben.

Wenn Importe zurückgefahren werden, dann wird gleichzeitig der Lebensstandard der Griechen zurückgefahren, weil sie einen sehr großen Teil ihres Lebensstandards importieren. Es drängt sich geradezu der Gedanke auf, dass man diesen drohenden Rückgang im Lebensstandard dadurch abwenden kann (zumindest über weite Strecken), dass man möglichst viel von dem, was nicht mehr importiert werden kann, im Inland herstellt. Dadurch entstehen neue Jobs, neue Einkommensteuern und neue Körperschaftssteuern in Griechenland.

Was wäre also „echte“ Griechenland-Hilfe (statt nur die Bilanz Griechenlands zu verwenden, um die eigenen Banken zu sanieren)? Die Antwort ergibt sich aus dem oben Dargestellten: Eigenkapital nach Griechenland schicken für neue Investitionen in Griechenland und nachdem es doch einige Zeit benötigen wird, bis man in Griechenland neue wettbewerbsfähige Branchen aufbaut, sollte man zu allererst mit Importsubstitution beginnen.

Es müssen aber Auslandsinvestitionen primär aus privater Quelle sein (sprich: Eigenkapital), weil nur auf diese Weise gewährleistet werden kann, dass die „Hygiene“ im Cash Flow erhalten bleibt (staatliche Gelder landen oft nicht dort, wo sie landen sollten). Staatliche Organe im In- und Ausland sollten jedoch alle ihre Bemühungen darauf konzentrieren, wie man so rasch wie möglich Incentives schaffen kann, dass dieses Eigenkapital nach Griechenland fließt.

Fußnote: bisherige Exporteure nach Griechenland werden darüber nicht sehr begeistert sein, aber Deutschland beispielsweise muss verstehen, dass es in der gegenwärtigen Situation nach Griechenland nur dann exportieren kann, wenn es Griechenland gleichzeitig das Geld für die Bezahlung dieser Importe leiht (oder den Griechen die Exporte von vorneherein gleich schenkt).

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