Sunday, October 30, 2011

Griechenland und Deutschland

“Jahrzehntelang verstanden sich Deutsche und Griechen nach dem Ende des letzten Weltkriegs bestens: Schätzten die Griechen deutsche Wertarbeit von Audi bis Zeiss, fanden die Deutschen den “Griechischen Wein” und das damit assoziierte unbeschwerte Lebensgefühl ohne allzu viel Leistungsdruck durchaus attraktiv. Deutsche wie Griechen wussten intuitiv um ihre Unterschiede und fanden im jeweils anderen ein bisschen, was sie an sich selbst vermissten – ohne deshalb so wie der jeweils andere werden zu wollen.

Doch die Beziehungskiste ist mittlerweile arg ramponiert. In der öffentlichen Meinung Deutschlands (und Österreichs) ist vom “faulen Pleitegriechen” die Rede, in Griechenland werden die Deutschen wieder mit den Nazis assoziiert. Die einen sehen nicht ein, warum sie zahlen sollen, und die anderen nicht, warum sie sich Vorschriften machen lassen sollen. Das Ergebnis: Deutsche und Griechen waren zwar dank EU und Euro noch nie so eng verflochten miteinander wie jetzt – doch die Folge ist,  dass sie einander so abgeneigt sind wie seit Menschengedenken nicht mehr“. („OrtnerOnline“ vom 29.10.2011).

Diese Beschreibung trifft 100%-ig zu. Hier ist ein Vorschlag, wie beide Seiten verstehen könnten/sollten, dass jeder von ihnen gewissermaßen Recht hat (aber dass die Friedhöfe der Welt voll sind von Menschen, die einmal Recht gehabt haben…).


Griechen aus der Sicht von Deutschland
Man stelle sich einen jungen Mann vor, der in seinem ersten Job 1.000 Euro netto monatlich verdient. Alle seine besten Freunde verdienen 1.800 Euro netto monatlich und er möchte in seinem Lebensstandard seinen Freunden nicht nachstehen. Er gibt also auch 1.800 Euro monatlich aus, obwohl er nur 1.000 Euro verdient. Das geht deswegen, weil ihm die Bank einen Kreditrahmen eingeräumt hat.

Nach dem ersten Monat ist sein Kreditrahmen bei der Bank mit 800 Euro beansprucht. Nach 10 Monaten beträgt die Inanspruchnahme 8.000 Euro und die Bank fordert ihn zu einer Besprechung auf. Die Bank erklärt ihm, dass das so nicht weitergehen kann, weil alleine schon die Zinsen auf die 8.000 Euro Schulden 33 Euro monatlich betragen (bei einem Spitzenzinssatz von nur 5%). Die Bank stellt mit ihm ein Haushaltsbudget auf: 1.000 Euro netto stehen ihm monatlich als Einkommen zur Verfügung; 33 Euro gehen weg als Zinsen und weiter 67 Euro monatlich verlangt die Bank als Tilgung (dann ist der Kredit in 10 Jahren getilgt). Somit muss der junge Mann nun mit 900 Euro monatlich auskommen.

Der junge Mann ist verzweifelt. Er hat sich an monatliche Ausgaben von 1.800 Euro gewöhnt und soll jetzt mit nur mehr der Hälfte auskommen? Sein ganzer Lebensstandard würde doch einstürzen! Das kann man nicht von ihm verlangen!" Er macht der Bank schwerste Vorwürfe. Die Bank ist auf den jungen Mann wütend.

PS: Der junge Mann hatte 10 Monate lang 80% mehr ausgegeben als er eingenommen hat. Griechenland hat 10 Jahre lang 80% mehr ausgegeben als es eingenommen hat (=Leistungsbilanzdefizit).


Deutsche aus der Sicht von Griechenland
Die Deutschen hätten den Griechen doch gar nicht so viel Kredit geben dürfen! Außerdem haben sie doch mit den Zinsen gut an Griechenland verdient! Und vor allem: die Griechen haben ja ihr ganzes Geld in Deutschland ausgegeben, um deren Produkte zu importieren. In Wirklichkeit war das ein abgekartetes Spiel seitens der Deutschen: sie haben die Griechen absichtlich in Schulden gedrängt, damit sie deutsche Produkte importieren, um damit die deutsche Wirtschaft zu unterstützen! Und jetzt wollen die Deutschen Griechenland, das in Wirklichkeit gar nichts dafür kann, bestrafen, um auf diese Weise ein abschreckendes Beispiel für andere zu schaffen!

Die Griechen sind auf die Deutschen wütend.


Und die Moral von der Geschicht‘?
Ein verantwortungsvoller junger Mann weiß natürlich, dass die Bank Recht hat. Eine verantwortungsvolle Bank weiß natürlich, dass sie mit ihrer Haushaltsbudgetvorgabe dem jungen Mann sehr, sehr viel abverlangt (10 Jahre nicht weit über dem Existenzminimum). Vielleicht bemüht sich die Bank, dem jungen Mann Vorschläge zu machen, wie er sein Monatseinkommen in Richtung 1.800 Euro erhöhen könnte? Dann wäre der Einschnitt in seinen Lebensstandard nicht so hoch. Besteht die Möglichkeit, dass sich der junge Mann durch Fortbildungen in seiner beruflichen Laufbahn verbessert und sein Einkommen steigert? Kann er vielleicht durch einen Nebenjob ein Nebeneinkommen schaffen?

Beide Seiten müssen sich „zusammenfinden“, damit für jede der beiden Seiten eine verträgliche Lösung herauskommt. Den Griechen hat man bisher nur das neue Haushaltsbudget vorgelegt. Wie sie sich selbst und aus eigener Kraft verbessern könnten, das hat man ihnen noch nicht vorgeschlagen.

4 comments:

  1. Bei den Ausfällen und der Kritik der griechischen Medien gegen Deutschland, die sicherlich die Stimmung im Lande spiegeln, geht es im Kern um die kulturelle Identität der griechischen Nation! Und nichts ist einer Nation so heilig wie die eigene nationale Identität.

    Durch die Geldgeber in Gestalt der Troika aus EU, IWF und EZB wird den Griechen schonungslos und gnadenlos ihre Fehler aufgezeigt, womit sie vor den Augen der Weltöffentlichkeit als Schwindler und Taugenichtse bloßgestellt werden.

    Dazu werden den Griechen jetzt von außen Tugenden und Werte aufgezwungen, ferner werden ihnen politische und wirtschaftliche Strukturen oktroyiert, die den Tugenden, Werten und Vorstellungen unserer nordländischen protestantischen Ethik entsprechen. Also etwa positive Einstellungen zur Arbeit, Eigenverantwortung, Eigeninitiative, Mobilität, Fleiß, Leistungsbereitschaft, Sparsamkeit, nützlich-effizienter Umgang mit knappen Ressourcen, Bildungs- und Ausbildungsaffinität, Kreativität und wirtschaftlicher Wagemut, Rationalität und Realismus etc.; dazu metaphorisch formuliert: ein langer Atem, Stehvermögen, die Fähigkeit, Rückschläge wegzustecken; das ist die kulturelle Tiefenprägung, aus der erfolgreiche Nationen und Volkswirtschaften geschnitzt sind; so sieht das kulturelle Kapital, das Sozialkapital aus, mit dem Gesellschaften sich im internationalen Wettbewerb behaupten können.

    Dieser Angriff auf die griechische Identität, Kultur und Mentalität erzeugt Ablehnung, Groll und Haß, weil es ein Angriff auf die griechische Identität bedeutet. Nur so sind die Reaktionen in der griechischen Öffentlichkeit zu deuten!
    Da wird z.B. Deutschland vorgeworfen, nach zwei vergeblichen Anläufen (1914 und 1939) es jetzt über den Euro zu versuchen, sich Europa wie die Nazis damals untertan zu machen. In solchen unflätigen Angriffen äußert sich sicherlich kein Deutschenhaß.

    Der Versuch der europäischen Nordländer, den Griechen u.a. Haushaltssolidität und Sparsamkeit, sowie ein anderes Arbeitsethos und weitere Verhaltensweisen nicht nur anzuempfehlen, sondern aufzuzwingen (siehe mein oben aufgeführter Tugendkanon), wird intuitiv als schwerwiegender Anschlag auf die griechische Identität gewertet. Darin äußern sich Verlustängste hinsichtlich der eigenen Kultur und Identität. Daher diese völlig überzogenen emotionalen Reaktionen.

    ReplyDelete
  2. Unterschiedliche Identitäten, Kulturen und Mentalitäten!

    Man kann die griechische Schuldentragödie – wie es fast ausschließlich in unseren Medien geschieht, auch in den vielen Blogs - mit einer ökonomischen und finanztechnischen Begrifflichkeit beschreiben und erklären. Das geschieht in den Fernsehdiskussionsrunden genauso wie in der FAZ, Handelsblatt etc. und auch bei Ortner wie auch bei Kastner und vielen anderen.Das ist sicherlich sehr hilfreich, reicht aber nicht aus.

    Man übersieht bei dieser rein ökonomischen Betrachtungsweise, daß Begriffe wie Kultur, Identität, Mentalität für die wirtschaftliche Entwicklung von Gesellschaften von großer Bedeutung ist! Culture matters! Es gibt diese Forschungsrichtung des „Culture Matters“ in den USA und in Südamerika, vertreten z.B. durch David Landes, Lawrence E. Harrison, auch Samuel Huntington (Who are we?), Thomas Sowell, Eric L. Jones, dem Australier Gregory Clarks (A Farewell to Alms), sowie einigen südamerikanischen Forschern.

    Bakwahn

    ReplyDelete
  3. Griechenland ist ein überzeugendes Beispiel für die These des „Culture matters“!

    Griechenland, das seit 1981 Mitglied der EU ist, hat in den vergangenen Jahrzehnten aus diversen Töpfen der EU Milliarden von Fördergeldern bekommen für den Ausbau seiner Infrastruktur, für den Aufbau und die Verbesserung der griechischen Volkswirtschaft insgesamt; für Investitionen also! Das meiste Geld jedoch ist zweckentfremdet in den Konsum gegangen:

    * ein aufgeblähter öffentlicher Dienst, staatliche und halbstaatliche Unternehmen, die vom Markt und damit von der Konkurrenz abgeschottet sind und höchst unproduktiv und defizitär wirtschaften. Von den ca. vier Millionen Arbeitnehmern sind eine Million im öffentlichen Dienst beschäftigt! Das ist der helle Wahnsinn! Überhaupt scheint die gesamte öffentliche Verwaltung ein einziger Sauhaufen zu sein, gekennzeichnet durch Unfähigkeit, Unwilligkeit und Korruption.
    * Dazu Berufsgruppen bis hinunter zu den Taxifahrern, die sich Privilegien und Sonderrechte erstritten haben.
    * Der Rest der griechischen Volkswirtschaft ist überwiegend schwach, wenig produktiv; es gibt nur wenige international konkurrenzfähige Industrie- oder Dienstleistungsunternehmen.
    * Dazu Korruption, Schattenwirtschaft, skandalöse Steuermoral; ganz offensichtlich völlig unfähige Finanz- und Katasterämter.
    * Die Anzahl von wettbewerbsfähigen und produktiven Unternehmen ist sehr gering. Mit ihnen können die Griechen nicht die Devisen erwirtschaften, um die gigantischen Zins- und Tilgungsraten zu finanzieren. Die einzige Ausnahme scheinen mir die griechischen Reedereien zu sein. Aber die fahren längst unter Billigflaggen und entziehen sich weitgehend dem griechischen Fiskus.
    * Es gibt selbstverständlich auch eine Handvoll erfolgreicher griechischer Unternehmen und fleißige, leistungsfähige Arbeitnehmer. Aber ihre Anzahl ist einfach zu gering.

    Bakwahn

    ReplyDelete
  4. Culture matters!

    Ich erinnere an die gesellschaftliche Konstituierung des Ich-Bewußtseins, an das historisch-gesellschaftlich-soziale Apriori. Unser Denken, Fühlen und Meinen, unsere Normen und Werte, unsere Weltsicht, unser Wissen von dieser Welt und unser Handeln sind durch diese geschichtlich-gesellschaftliche Vorgegebenheit bestimmt. Jaspers nennt diesen Sachverhalt das uns „Umgreifende“, in dem wir uns immer schon vorfinden. Dieses Vorgegebene, dieses uns Umgreifende nenne ich mit Hegel Substanz; und diese Substanzialität bestimmt die Subjektivität. Bei allem Respekt vor dem Individuum, vor dem unvertretbaren und unverwechselbaren Einzelnen, diese Substanzialität bestimmt weitgehend die Subjektivität, auch die der griechischen Politikerkaste, der griechischen „Eliten“ und der „normalen“ Durchschnittsgriechen.

    Dieser angeblich objektive Fehler, Milliarden von Schulden- und Fördereuros in den Konsum zu geben, ist somit kein „Fehler“, etwa aus Unwissenheit oder aus Versehen, nein, dieses Handeln entspringt der Logik der griechischen Mentalität.

    Mein Fazit zu Griechenland:
    Aufgrund der vielen Chancen und der massiven finanziellen Förderung müßte sich Griechenland heute nach 30 Jahren Mitgliedschaft in der EU in eine moderne leistungsfähige Volkswirtschaft verwandelt haben. Griechenland könnte z.B. ein Weltmarktführer im Bereich der Photovoltaik und der Windkraftanlagen sein. Was aber ist?

    Die Griechen haben sich einen Lebensstandard erschwindelt und ergaunert, den sie mit ihrer Volkswirtschaft nie erwirtschaftet haben.

    Dieser angebliche Fehler, Milliarden von Schulden- und Fördereuros in den Konsum zu geben, ist somit kein „Fehler“, etwa aus Unwissenheit oder aus Versehen, nein, dieses Handeln entspringt der Logik der griechischen Mentalität.

    Heglianisch formuliert: der Zustand der griechischen Gesellschaft in ihrem politisch-gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Sosein ist eine Entäußerung des griechischen (Volks-)Geistes.

    Ähnliches gilt für andere südeuropäischen Länder. Und genau an diesen kulturellen Differenzen scheitert die Eurozone.
    Dieser Versuch, Inkompatibles zu konvergieren, wird für die deutsche Nation in einem finanziellen Fiasko enden. Deutschland profitiert eben nicht, sondern wird in eine Inflations-, Haftungs-, Schulden- und Transferunion hineingezwungen. Das gilt auch für Österreich, Holland, Finnland und alle nordländischen Volkswirtschaften.

    Ich höre mal auf.
    Es ist alles so traurig.
    Bakwahn
    Hamburg Bangkok Düsseldorf

    ReplyDelete