“Jahrzehntelang verstanden sich Deutsche und Griechen nach dem Ende des letzten Weltkriegs bestens: Schätzten die Griechen deutsche Wertarbeit von Audi bis Zeiss, fanden die Deutschen den “Griechischen Wein” und das damit assoziierte unbeschwerte Lebensgefühl ohne allzu viel Leistungsdruck durchaus attraktiv. Deutsche wie Griechen wussten intuitiv um ihre Unterschiede und fanden im jeweils anderen ein bisschen, was sie an sich selbst vermissten – ohne deshalb so wie der jeweils andere werden zu wollen.
Doch die Beziehungskiste ist mittlerweile arg ramponiert. In der öffentlichen Meinung Deutschlands (und Österreichs) ist vom “faulen Pleitegriechen” die Rede, in Griechenland werden die Deutschen wieder mit den Nazis assoziiert. Die einen sehen nicht ein, warum sie zahlen sollen, und die anderen nicht, warum sie sich Vorschriften machen lassen sollen. Das Ergebnis: Deutsche und Griechen waren zwar dank EU und Euro noch nie so eng verflochten miteinander wie jetzt – doch die Folge ist, dass sie einander so abgeneigt sind wie seit Menschengedenken nicht mehr“. („OrtnerOnline“ vom 29.10.2011).
Diese Beschreibung trifft 100%-ig zu. Hier ist ein Vorschlag, wie beide Seiten verstehen könnten/sollten, dass jeder von ihnen gewissermaßen Recht hat (aber dass die Friedhöfe der Welt voll sind von Menschen, die einmal Recht gehabt haben…).
Griechen aus der Sicht von Deutschland
Man stelle sich einen jungen Mann vor, der in seinem ersten Job 1.000 Euro netto monatlich verdient. Alle seine besten Freunde verdienen 1.800 Euro netto monatlich und er möchte in seinem Lebensstandard seinen Freunden nicht nachstehen. Er gibt also auch 1.800 Euro monatlich aus, obwohl er nur 1.000 Euro verdient. Das geht deswegen, weil ihm die Bank einen Kreditrahmen eingeräumt hat.
Nach dem ersten Monat ist sein Kreditrahmen bei der Bank mit 800 Euro beansprucht. Nach 10 Monaten beträgt die Inanspruchnahme 8.000 Euro und die Bank fordert ihn zu einer Besprechung auf. Die Bank erklärt ihm, dass das so nicht weitergehen kann, weil alleine schon die Zinsen auf die 8.000 Euro Schulden 33 Euro monatlich betragen (bei einem Spitzenzinssatz von nur 5%). Die Bank stellt mit ihm ein Haushaltsbudget auf: 1.000 Euro netto stehen ihm monatlich als Einkommen zur Verfügung; 33 Euro gehen weg als Zinsen und weiter 67 Euro monatlich verlangt die Bank als Tilgung (dann ist der Kredit in 10 Jahren getilgt). Somit muss der junge Mann nun mit 900 Euro monatlich auskommen.
Der junge Mann ist verzweifelt. Er hat sich an monatliche Ausgaben von 1.800 Euro gewöhnt und soll jetzt mit nur mehr der Hälfte auskommen? Sein ganzer Lebensstandard würde doch einstürzen! Das kann man nicht von ihm verlangen!" Er macht der Bank schwerste Vorwürfe. Die Bank ist auf den jungen Mann wütend.
PS: Der junge Mann hatte 10 Monate lang 80% mehr ausgegeben als er eingenommen hat. Griechenland hat 10 Jahre lang 80% mehr ausgegeben als es eingenommen hat (=Leistungsbilanzdefizit).
Deutsche aus der Sicht von Griechenland
Die Deutschen hätten den Griechen doch gar nicht so viel Kredit geben dürfen! Außerdem haben sie doch mit den Zinsen gut an Griechenland verdient! Und vor allem: die Griechen haben ja ihr ganzes Geld in Deutschland ausgegeben, um deren Produkte zu importieren. In Wirklichkeit war das ein abgekartetes Spiel seitens der Deutschen: sie haben die Griechen absichtlich in Schulden gedrängt, damit sie deutsche Produkte importieren, um damit die deutsche Wirtschaft zu unterstützen! Und jetzt wollen die Deutschen Griechenland, das in Wirklichkeit gar nichts dafür kann, bestrafen, um auf diese Weise ein abschreckendes Beispiel für andere zu schaffen!
Die Griechen sind auf die Deutschen wütend.
Und die Moral von der Geschicht‘?
Ein verantwortungsvoller junger Mann weiß natürlich, dass die Bank Recht hat. Eine verantwortungsvolle Bank weiß natürlich, dass sie mit ihrer Haushaltsbudgetvorgabe dem jungen Mann sehr, sehr viel abverlangt (10 Jahre nicht weit über dem Existenzminimum). Vielleicht bemüht sich die Bank, dem jungen Mann Vorschläge zu machen, wie er sein Monatseinkommen in Richtung 1.800 Euro erhöhen könnte? Dann wäre der Einschnitt in seinen Lebensstandard nicht so hoch. Besteht die Möglichkeit, dass sich der junge Mann durch Fortbildungen in seiner beruflichen Laufbahn verbessert und sein Einkommen steigert? Kann er vielleicht durch einen Nebenjob ein Nebeneinkommen schaffen?
Beide Seiten müssen sich „zusammenfinden“, damit für jede der beiden Seiten eine verträgliche Lösung herauskommt. Den Griechen hat man bisher nur das neue Haushaltsbudget vorgelegt. Wie sie sich selbst und aus eigener Kraft verbessern könnten, das hat man ihnen noch nicht vorgeschlagen.