Aus gegebenem Anlaß wiederhole ich einen Beitrag, der zum ersten Mal im Juni 2011 veröffentlicht wurde.
Ausgangssituation
Die griechische Wirtschaft liegt
darnieder und es sind noch keinerlei überzeugende Maßnahmen erkennbar (weder
seitens der griechischen Politik noch seitens der EU), wie man die
Wirtschaft wieder in Gang bringen möchte. Es fehlt ein industriepolitischer Entwicklungsplan, wie man eine
Volkswirtschaft von einer verkrusteten und korrupten Amigo-Wirtschaft in eine
wertschöpfende Marktwirtschaft „drehen“ kann. Das ist kein Projekt für ein paar
Monate oder 2-3 Jahre; das ist ein Generationenprojekt und muss entsprechend
langfristig angelegt werden.
Blick zurück
Volkswirtschaftler
haben errechnet, dass Griechenland seit dem Euro gegenüber Deutschland um ca.
40% teurer geworden ist. Die internationale Kaufkraft des griechischen Euro ist
jedoch dieselbe geblieben wie jene des deutschen Euro. Somit hat Griechenland
Produkte und Dienstleistungen in dramatischen Dimensionen im Ausland gekauft
statt sie selbst herzustellen. Die griechische Wirtschaft hatte ihr
Geschäftsmodell schon vor Beginn der Finanzkrise verloren: mit 80%
Dienstleistungen wurde sie eine Zombie-Wirtschaft, wo man sich gegenseitig
Souvlaki zu erhöhten Preisen verkaufte und mit Geld, das man sich im Ausland
borgte, bezahlte.
Von 2001-10 importierte Griechenland 446 Mrd. EUR und exportierte nur
146 Mrd. EUR. Griechische Exporte deckten weniger als 45% der Importe. Das
Leistungsbilanzdefizit summierte sich in diesem Zeitraum auf 199 Mrd. EUR!
Dieser Luxus der Wirtschaft wurde mit den Spareinlagen anderer Länder finanziert.
Von 2001-10 sind Griechenlands Auslandsschulden von 121 Mrd. EUR auf 409
Mrd. EUR gestiegen; das ist eine Netto-Erhöhung um 288 Mrd. EUR! Die
Staatsschulden konnten mittlerweile von einem Schuldenschnitt profitieren. Die
Auslandsschulden des Bankensektors sind jedoch deutlich über 200 Mrd. EUR und
steigen mit jeder neuen Finanzierung der EZB weiter an. Selbst wenn man
Griechenland alle seine Staatsschulden erlassen würde und wenn der Haushalt
ausgeglichen werden könnte, wäre das Problem der Wirtschaft nicht gelöst.
Die griechische Wirtschaft „verbrennt“ Geld. 2011 betrug das
Leistungsbilanzdefizit immer noch 21 Mrd. EUR. Außerdem verlor der Bankensektor
seit 2010 rund 70 Mrd. EUR an Einlagen. Bisher hat die EZB dieses „Loch“ im
Bankensektor gefüllt. Man führe sich vor Augen, dass die EZB Steuerzahlergeld
nach Griechenland schickt, damit wohlhabende Griechen ihr eigenes Geld – ganz
legal via Bankkonten – ins Ausland überweisen können und damit die Wirtschaft
massiv importieren kann, statt Produkte selbst herzustellen! Wie lange wird die
EZB das noch machen können?
Diagnose
Griechenland ist
zwar kein Fass ohne Boden, jedoch ein Fass mit 3 großen Löchern:
Haushaltsdefizit, Leistungsbilanzdefizit und Kapitalflucht. Beim
Haushaltsdefizit wurden bereits (an und für sich sehr beeindruckende)
Maßnahmen umgesetzt, aber viel ist noch zu tun. Solange man aber nicht das
Leistungsbilanzdefizit und die Depositenflucht in den Griff bekommt, hat
Griechenland keine Chance. Ein industriepolitischer Entwicklungsplan muss darauf
abstellen, dass das Leistungsbilanzdefizit reduziert und dass die
Depositenflucht gestoppt wird.
Von Exporten ist kurzfristig keine rasante Steigerung zu erwarten, weil
Griechenland (noch) nicht sehr viel zum Exportieren hat. Auch die Einkünfte aus
dem Tourismus wird man nicht rasant steigern können, weil sie bereits hoch sind
und weil Griechenland – objektiv betrachtet – auch hier nicht wirklich
wettbewerbsfähig ist (der griechische Tourismus lebt vom Kult).
Somit verbleiben als letzte Stellschrauben nur mehr Importe und
Depositenflucht, diese beiden stellen jedoch ganz große Stellschrauben dar.
Importe müssen drastisch eingedämmt und soweit wie möglich mit
Inlandsproduktionen substituiert werden. Und die Depositenflucht muss ganz
einfach gestoppt werden.
Würde Griechenland Euroland verlassen und zur Drachme zurückkehren, dann
würde all dies von selbst geschehen und zwar rasch: die neue Drachme würde
30-40% abwerten (mindestens!) und die Importe (und zwar alle Importe!) würden
analog teurer werden. Kapitalflucht via Bankkonten gäbe es keine, weil dem
Bankensektor die notwendigen Devisen fehlen würden. Ein Euro-Austritt – noch
dazu ein ungeordneter – wäre jedoch das größte von allen Übeln. Außerdem würden
die Finanzvermögen der Griechen über Nacht um 30-40% (oder mehr!) entwertet
werden. Bye, bye sozialer Friede!
Lösungsansatz
Wenn ein Euro-Austritt das größte von allen Übeln ist und wenn
Griechenland es mit der jetzigen Euro-Struktur nicht schaffen kann, dann muss
Griechenland mit dem Euro – zumindest vorübergehend – eine Situation
simulieren, als wäre es zur Drachme zurückgekehrt!
Vorübergehende Maßnahmen: Sonderabgaben auf Importe, die die Importe
insgesamt um 30-40% verteuern (allerdings gestaffelt nach Priorität; z. B. 0%
für lebenswichtige Güter und 100% für Luxusgüter); selektive Freihandelszonen,
wo international wettbewerbsfähige Rahmenbedingungen geschaffen werden, damit
neue Produktionen für Importsubstitution aufgebaut werden können; und
Kapitalkontrollen.
Damit würde man EU-Verträge verletzen (freier Güter-/Kapitalverkehr),
aber Verträge kann man – vor allem vorübergehend – ändern. Ein Notstand
erfordert Notstandsgesetze. Es ist für die EU allemal vorteilhafter,
vorübergehende Ausnahmeregeln zu bewilligen, damit sich Griechenland in eine
wertschöpfende Wirtschaft entwickeln kann, statt Steuerzahlergeld nach
Griechenland zu schicken, um eine Zombie-Wirtschaft am Leben zu erhalten.
Ein neues Investitionsgesetz im Verfassungsrang muss gemacht werden, das
dem Investor alle jene international wettbewerbsfähigen Rahmenbedingungen
zusichert, die er sich wünscht. Die EU sollte dieses Gesetz garantieren, damit
die Investoren kein politisches Risiko tragen müssen (wirtschaftliches Risiko
schon!).
Der Investor findet ein wirtschaftliches Nirwana vor: er kann wettbewerbsfähig
produzieren und er hat bereits einen Absatzmarkt. Und Sicherheit hat er auch.
Vermögende Griechen verfügen über geschätzte 3-stellige Mrd. EUR Beträge
auf Bankkonten im Ausland. Das neue Investitionsgesetz muss darauf zielen, dass
zumindest ein Teil dieser Gelder freiwillig nach Griechenland für Investitionen
fließt. Griechen sind gute Geschäftsleute und erkennen Geschäftsmöglichkeiten
rasch. Warum sollten vermögende Griechen im Ausland 2% verdienen wollen, wenn
sie mit Investitionen in Griechenland bei gleicher Sicherheit ein Vielfaches
davon verdienen könnten?
Warum selektive
Freihandelszonen und nicht gleich das ganze Land? Weil man die ganze Wirtschaft eines Landes
nicht auf einmal von A-Z umstrukturieren kann; das ergäbe eine Revolution.
Stattdessen muss man hoffen, dass die Freihandelszonen gut funktionieren und
dass im Zuge der Jahre die dortigen Rahmenbedingungen auf den Rest der
Wirtschaft abfärben.
Oberste Priorität müsste sein, dass die Geschäftsgebarung in diesen
Freihandelszonen absolut korrekt ist. Sollte sich auch dort das „griechische
Wesen“ durchsetzen (Steuerhinterziehung, Korruption), dann müsste man das
Projekt von Anfang an als gescheitert betrachten. Begleitmaßnahmen (anerkannte
Wirtschaftsprüfer; möglicherweise sogar EU-Inspektionen) müssten gewährleisten,
dass das griechische Wesen nicht Einzug halten kann.
Das große Risiko bei Importkontrollen ist, dass dieser Schutz vom
Inlandshersteller missbraucht wird. Angenommen, eine importierte Zahnpastatube
kostet 1 EUR und die neuen Rahmenbedingungen in den Freihandelszonen
ermöglichen es dem Investor, zu diesem Preis profitabel zu wirtschaften. Nehmen
wir weiter an, dass die Sonderabgaben für importierte Zahnpastatuben
vorübergehend mit 100% festgelegt werden, damit der Investor sein Geschäft
aufbauen kann. Somit würde die importierte Zahnpastatube 2 EUR kosten. Die
Gefahr ist, dass der gewitzte griechische Unternehmer dann seine Zahnpastatube
um 1,99 EUR verkauft.
So kann das nicht funktionieren! Die Freihandelszonen haben zum Ziel,
dass in Griechenland eine nachhaltige Inlandswertschöpfung aufgebaut werden
kann. Sie sind nicht dazu da, dass ein gewitzter Unternehmer wettbewerbsfähig
produzieren und zum doppelten Preis verkaufen kann. Die Benchmark muss immer
der internationale Preis sein.
Schlussbemerkung
All das klingt stark nach Planwirtschaft, ist es aber nicht. Es hängt
von der Gestaltung des Investitionsgesetzes ab, dass es keine Planwirtschaft
wird. Wenn das Gesetz dem Investor ein interessantes Verhältnis Risiko/Ertrag gewährleistet,
dann wird der Investor von selbst kommen.
Chile hatte Ende der 1970er Jahre gezeigt, dass ein gutes
Investitionsgesetz eine vormalige kommunistische Planwirtschaft in kürzester
Zeit zum „Darling“ von internationalen Investoren „drehen“ kann. Warum sollte
das Griechenland nicht auch gelingen? Argentinien hat in den letzten
Jahrzehnten mehrere Stabilitätspläne gemacht, die dann auch jeweils eine Zeit
lang funktionierten. Auslandsvermögen kamen immer rasch ins Land zurück und
beschleunigten die Erholung. Beim Auftauchen der ersten Wolken am
Wirtschaftshimmel verflüchtigten sie sich wieder. Der „Trick“, den Griechenland
schaffen muss, ist, dass die Auslandsvermögen der Griechen nachhaltig im Land
bleiben.
Die Regierung muss dafür sorgen, dass zahlreiche
Investitionsmöglichkeiten – mit Business Plänen – ausgeschrieben werden. Wenn
von geschickter PR-Arbeit begleitet, könnte es sogar gelingen, dass ein „Run“
auf diese Investitionsmöglichkeiten entsteht (nach dem Motto: „treten wir ein,
bevor die Türe wieder zugemacht wird“).
Das griechische Staatsschuldenproblem wurde hier bewusst nicht
angesprochen, weil es im Vergleich das einfachere Problem ist. Das
Staatsschuldenproblem kann man mit ein paar Hundert Leuten in einem
Konferenzsaal lösen (solange sich alle einigen). Einen industriepolitischen
Entwicklungsplan zu erarbeiten und erfolgreich umzusetzen, das erfordert die
besten Köpfe nicht nur Griechenlands, sondern von ganz Europa.
Wenn es aber einmal einen industriepolitischen Entwicklungsplan gibt, dann
ist das Staatsschuldenproblem wesentlich einfacher zu lösen, weil die Geldgeber
die Hoffnung haben dürfen, dass es doch wieder Licht am Ende des Tunnels geben
könnte.
Der Norden verliert
langsam den Geduldsfaden mit dem Süden und möchte kein Geld mehr schicken. Der
Norden muss sich jedoch bewusst werden, dass man den Kuchen nicht gleichzeitig
anschauen und essen kann. Entweder der Norden unterstützt eine angemessene Verlagerung
der Wertschöpfung in den Süden, damit sich dort eine eigenständige und
selbsterhaltende Wirtschaft entwickeln kann oder der Norden wird auf Dauer
Transferzahlungen leisten müssen.